2. Filmwissenschaft? Versuch einer methodischen Einbettung

Ich schätze analytische Kritiken durchaus,weil sie mir  manchmal klarmachen,
dass ich bestimmte Dinge unbewusst inszeniere.Und dann sitze ich da und sage mir:
„O ja, das hast du wohl tatsächlich so beabsichtigt.“
Steven Spielberg

Film needs theory like it needs a scratch on the negative.
Alan Parker

Wurde einleitend festgestellt, dass die Literatur zum speziellen Thema dieser Arbeit dünn gesät ist, besteht andererseits kein Grund zur Klage, was die Arbeiten zum  Thema Filmwissenschaft generell betrifft. Im Gegenteil: die Masse der analytischen, systematischen, ästhetischen, phänomenologischen, empirischen, ideologiekritischen etc. Untersuchungen zum Film ist erdrückend. Trotz – oder gerade wegen – dieser Fülle von Arbeiten fehlen der Filmwissenschaft immer noch die  klaren Umrisse. Nicht zuletzt deshalb verbindet sich mit dem Begriff oft – und nicht ganz zu unrecht – der Verdacht einer gewissen Beliebigkeit. Vor allem bei Aussenstehenden kann dieser Eindruck entstehen, betrachtet man beispielsweise die in speziellen Verlagsreihen erscheinende Literatur zum Thema: die Spanne reicht vom farbenprächtigen, aber wenig informativen Bildband bis zum hochgradig spezialisierten Fachbuch, ohne dass die Abgrenzung klar erkennbar wäre. Die Popularität des Films hat viele selbsternannte Fachleute und Spezialisten auf den Plan gerufen, die der Sache wenig dienlich sind.

Selbst wenn man dieses Randphänomen ausklammert, hat sich das wissenschaftliche Untersuchungsobjekt Film als problematisch erwiesen. Die Hauptursache für die Schwierigkeiten im Umgang mit Film liegen in erster Linie in der Komplexität des Mediums. Der Film verarbeitet die anderen Künste(1), ebenso sind aber ökonomische, soziologische, (wahrnehmungs-)psychologische oder etwa produktionstechnische(2) Aspekte von Bedeutung. Opls zusammenfassende Liste der Hauptrichtungen in der heutigen Kommunikatforschung unterscheidet sieben verschiedene Ansätze(3):

  • Film als ästhetischer Gegenstand: Was ist ’schön‘ am Film? (Filmkritik und Filmessayistik)
  • Film als sprachähnliches und Sprache verwendendes Kommunikationsmittel: Welche Codes verwendet/besitzt der Film (im Vergleich zur Sprache)? (Linguistischer, präsemiotischer Ansatz)
  • Film als Medium der Massenkommunikation: Welche gesellschaftlich relevanten Themen vermittelt der Film wie? (Kommunikations- und sozialwissenschaftliche Ansätze)
  • Film als Teil der Literatur; Literatur und Sprache als Teil des Films; Film als „Text“: Wie werden Literatur und Sprache im/vom Film verwendet/behandelt? Was und wie „berichtet“ bzw. „erzählt“ der Film? (Philologische, sprach- und literaturwissenschaftliche Ansätze)
  • Film als Dokumentations- und Darstellungsmittel für alle sicht- und hörbaren Objekte und Ereignisse: Welche Gegenstände dokumentiert/behandelt der Film wie? (Theaterwissenschaftliche, historische, wahrnehmungspsychologische usw. je fachspezifische Ansätze)
  • Film als komplexe Struktur von interdependenten Zeichensystemen: Welche Zeichensysteme verwendet/produziert der Film auf welche Art? (Semiotische Ansätze)
  • Film als Kommunikationsmittel, das andere Kommunikationsmittel auf spezifische Weise kommuniziert: Was sind filmspezifische Codesysteme und wie überlagern sie sich mit afilmischen? (Filmwissenschaftlicher Basisansatz)

Angesichts dieser Vielfalt drängt sich die Frage auf, ob eine Filmwissenschaft überhaupt in der Lage ist oder überhaupt sein soll, alle Ansätze unter einem Dach zu vereinigen. Ist der einzelne Filmwissenschaftler nicht einfach überfordert, wenn eine vollständige Filmanalyse breites Wissen auf den verschiedensten Gebieten verlangt? Opl spricht folglich von einer „Hybris dieses Ansatzes“(4), denn in letzter Konsequenz müsste man

eine Filmwissenschaft, die das im Film Abgebildete als ihren primären Gegenstand betrachtet, als neue Universalwissenschaft definieren und den Filmphilologen oder -wissenschaftler dementsprechend als Universalgenie mit enzyklopädischem Wissen.(5)

Betrachtet man traditionelle Vorschläge zur Filmuntersuchung wie sie beispielsweise Faulstich (1988) entwirft, so wird man die Kompetenz des ursprünglichen Anglisten kaum anzweifeln, was die biographische, literatur-/filmhistorische oder genrespezifische(6) Interpretation betrifft. Hingegen muss man sich fragen, ob sich ein Philologe mit einer soziologischen oder psychologischen/psychoanalytischen Interpretation nicht unnötig schwertut. Immerhin ist sich Faulstich dieser Problematik bewusst. So glaubt er nicht, dass sich eine der obigen Methoden als einzig gültige durchsetzen werde. Vielmehr sieht er ein Nebeneinander der Ansätze im Sinne eines „Methodenpluralismus“ als wahrscheinlichste Entwicklung der Filmwissenschaft.

Doch ist auch dieser Zustand, wie er bereits vielerorts praktiziert wird, auf lange Sicht nicht befriedigend. Man müsste sich dann damit abfinden, dass

Film als Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung (…) ein mehr oder weniger peripherer Bestandteil verschiedenster Hochschuldisziplinen [bleibt].(7)

Eine Aufteilung des Untersuchungsgegenstandes Film an verschiedene Fachrichtungen kann aber weder für die Beteiligten noch für die Sache an sich als sinnvoll erachtet werden. Wer im institutseigenen Elfenbeinturm vor sich hinforscht, läuft zum einen Gefahr, dass er unberührt von den Entwicklungen auf anderen Gebieten bleibt und das Rad ein zweites Mal erfindet. Dass dieses Szenario nicht nur Möglichkeit, sondern durchaus Realität ist, zeigt Kortes Situationsbeschreibung:

Betrachtet man (…) die Examensarbeiten, Dissertationen und sonstigen Publikationen, die sich explizit mit der Untersuchung einzelner Filme befassen, so ist der intellektuelle Aufwand, mit dem vielfach Zusammenhänge neu entdeckt und methodische Wege neu erfunden werden, die ausserhalb der eigenen Disziplin vielfach bekannt sind, schon bemerkenswert. Disziplinäre Selbstbeschränkung und Befangenheit im Fachdenken sind die Regel, wo kreatives Grenzüberschreiten, der mutige Blick über den Gartenzaun und die Bereitschaft zur Kooperation angebracht wären.(8)

Die fehlende Gesprächsbereitschaft unter den «Nachbarn» kann zudem zur Entwicklung einer fachspezifischen Terminologie führen, die die Gräben noch weiter aufreisst und die Verständigung untereinander erschwert. Nun liesse sich ein terminologisches Durcheinander noch entwirren. Und auch wenn es der gesunde Menschenverstand als unnötig empfindet, kann es nicht als wissenschaftlich falsch bezeichnet werden, wenn jemand bereits getane Arbeit noch einmal leistet.

Die grösste Gefahr in einer Aufsplitterung der Filmuntersuchung liegt aber in den verschiedenen methodischen Ansätzen der einzelnen Disziplinen. Bereits früher hatte Korte davor gewarnt, dass

mehr und mehr Fächer ihr Interesse auch am Film reklamieren, wodurch das generelle Problem entsteht, dass möglicherweise nur der Gegenstand ausgetauscht wird, aber die Methoden, die Fragestellungen der anderen Disziplinen dieselben bleiben. Ich meine, da bleibt der Gegenstand selbst auf der Strecke.(9)

Nun ist es meines Erachtens weniger bedenklich, wenn verschiedene Disziplinen sich dem Film mit einer eigenen Fragestellung nähern. Gerade daraus können ja auch neue Erkenntnisse gewonnen werden. Benutzt aber jeder Fachzweig seine althergebrachten Methoden, die aus der Erfahrung mit dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand gewonnen und durch ihn determiniert wurden, stellt sich nicht nur die Frage, ob diese Methode für die Filmanalyse geeignet ist, es kann darüberhinaus zu einer völligen Inkompatibilität der Forschungsergebnisse führen. Anstatt sich zu ergänzen und zu einem umfassenden Gesamtbild beizutragen, führen Untersuchungen, denen die gemeinsame Grundlage fehlt, zu einer zersplitterten, wenig effizienten Forschung, deren Ergebnisse im schlimmsten, aber auch nicht seltenen Fall ausserhalb der eigenen Disziplin nicht nutzbar gemacht werden können.

Um zu vermeiden, dass sich an jedem Universitätsinstitut eine eigene Form von Filmanalyse entwickelt, bietet sich zuvorderst eine Zusammenarbeit der am Gegenstand interessierten Fachgebiete an. Diesen Weg schlagen denn auch Korte und Faulstich vor. An einem Symposium propagierten sie die „Filmanalyse als interdisziplinäres Programm“ und formulierten als erstes Ziel die Schaffung eines gesicherten Kanons an Fragestellungen, Analysemethoden und klar definierten Fachbegriffen.(10)

Mit diesem Schritt, so scheint es, liesse sich das Problem einer Filmwissenschaft, die vom Einzelnen ein enormes (und in der Praxis schlicht nicht zu bewältigendes) Fachwissen auf den verschiedensten Gebieten verlangt, aus der Welt schaffen. Spezifische Probleme werden in einer interdisziplinären Filmwissenschaft an den jeweiligen Fachmann oder an die Fachfrau übergeben.

Die Frage «Wie analysiert man Film?» kann aber erst in zweiter Linie mit einem interdisziplinären Programm beantwortet werden. Wie Korte bereits angedeutet hat, muss auch für dieses Vorgehen zuerst eine einheitliche Basis geschaffen werden, damit Möllers sicherlich etwas überspitzt formulierte Einschätzung falsifiziert werden kann:

Die Filmwissenschaft ist heute von einem interdisziplinären Dilettantismus geprägt, d.h. irgendwo hat man seine Stärken, aber vor allem hat man rundherum Schwächen.(11)

Die gemeinsame Grundlage einer Filmwissenschaft findet sich nun nicht in einem interdisziplinären Konsens über den Untersuchungsgegenstand, sondern wird allein durch dessen spezifische Eigenheiten determiniert. Bevor nicht Klarheit darüber besteht, was das Filmische ausmacht, wird auch eine interdisziplinäre Forschung an Orientierungslosigkeit kranken.

Es soll nun hier nicht so getan werden, als ob die Frage nach dem spezifisch Filmischen neu sei. Sie ist im Gegenteil beinahe so alt wie der Gegenstand selbst. Jeder theoretische Ansatz in der Filmgeschichte versuchte, darauf eine Antwort zu geben. Wie sich in den vergangenen Jahren zeigte, lieferte vor allem die Filmsemiotik wertvolle Erkenntnisse auf diesem Gebiet, mit denen sich das Zeichensystem Film umfassend beschreiben lässt. Die Frage zu wiederholen drängt sich aber dennoch auf. Betrachtet man nochmals Opls Liste der heutigen Forschungsrichtungen, so wird deutlich, dass eine Mehrheit davon sich in erster Linie für die vom Film vermittelten Inhalte interessiert. Nun gehört zwar die Untersuchung der Filmhandlung unbedingt zur Filmanalyse, allein mit der Frage nach dem Gegenstand, den der Film behandelt, bleibt die Analyse jedoch unvollständig, lässt sie eben das Spezifische am Film ausser acht. Um es mit Opl zu formulieren:

Es ist (…) nicht ‚filmisch‚, wenn Gary Cooper um 12 Uhr Mittags allein durch eine staubige Strasse geht (…).(12)

Die Handlung selbst mag zwar von einem ästhetischen, psychologischen usw. Standpunkt aus interessant sein, sie könnte aber so in einem Roman stehen oder in einem Hörspiel gesprochen werden. Die wichtigste Tatsache, dass diese Handlung in einem Film gezeigt wird, kommt dabei nicht zum Ausdruck. Filmisch daran ist, und das müsste für den Filmwissenschaftler im Vordergrund stehen,

wie der Film dieses präexistente, afilmische Ereignis durch die Kamerahandlung in das autonome, sekundäre Kommunikationssystem Film transformiert.(13)

Diese elementare Erkenntnis dient aber nur einer Minderheit der Ansätze aus Opls Liste explizit als Ausgangspunkt für die Untersuchung des Films. Einzig der (prä-)semiotische Ansatz sowie der von Opl neueingeführte filmwissenschaftliche Basisansatz legen den Schwerpunkt auf die Kamerahandlung und nicht auf die Handlung vor der Kamera.(14) Zwei Einschränkungen sind hier allerdings anzufügen: auch diese Erkenntnis ist so neu wieder nicht und hat sich bei einem Grossteil der (spezialisierten) Filmwissenschaftler durchgesetzt. Deshalb finden sich auch bei den obigen inhaltsorientierten Ansätzen Mischformen(15), die die spezifischen Charakteristika des Mediums durchaus in ihre Analysen miteinbeziehen. Solange dies aber nicht für alle Analysen selbstverständlich ist, muss darauf hingewiesen werden, dass eine Untersuchung, die die filmspezifischen Parameter ausser acht lässt, nicht als filmwissenschaftliche Arbeit im strengen Sinn gelten kann.(16)

Als Konsequenz ergibt sich die Erfordernis einer Untersuchungsmethode, die sich durch den Gegenstand definiert und nicht durch das Vorwissen des Untersuchenden.(17) Es gilt also einzig herauszufinden, was Filmisch ist am Film. Die Antwort darauf wurde bereits im obigen Beispiel von Gary Coopers einsamem Showdown gegeben: nicht das Was macht die Charakteristik des Films aus, sondern die Frage nach dem Wie. Hier setzt Opls Vorschlag eines filmwissenschaftlichen Basisansatzes an.

Anerkennt man, dass der Film ein Medium ist und leitet man dies ab von seinem lateinischen Stamm medius (vermittelnd, in der Mitte stehend), so kann man sich dem Problem völlig anders nähern, denn nun lautet die primäre Frage: Wie vermittelt der Film? Der gesamte Komplex dessen, was der Film vermittelt, ist hiermit zuerst einmal ausgeklammert. Als Medium ist der Film inhaltsneutral: er kann (…) fast alle real existierenden visuellen und auditiven Phänomene vermitteln. Diese Phänomene (oder präexistenten Objekte und Ereignisse) sind das eine, die vermittelten Phänomene (oder das av-mediale Produkt) sind das andere; die Vermittlung dieser Phänomene (oder die mediale Funktion) ist das spezifisch Filmische, das allen Filmen in irgendeiner Form gleich ist.(18)

Indem Opl Inhalte vorerst ausklammert, umgeht er elegant das Problem, das auch ein interdisziplinärer Ansatz nicht aus der Welt schaffen kann. Der Untersuchungsgegenstand wird so auf ein überschaubares Mass eingegrenzt und kann wieder bewältigt werden – auch ohne enzyklopädisches Wissen.

Im filmwissenschaftlichen Basisansatz nach Opl kommt der Kamerahandlung(19) primäre Bedeutung zu. Damit vollzieht er eine notwendige Rückbesinnung in der Methode, die es ermöglicht, alle Filmuntersuchungen auf eine gemeinsame Grundlage zu stellen. Erst nach der Kamerahandlung kommen die anderen Faktoren ins Spiel. Bei Opl präsentiert sich die methodische Hierarchie wie folgt:

Untersucht werden(20)

  • die Kamerahandlung (Einstellungsgrösse, -dauer, -winkel, etc.)
  • die Handlung vor der Kamera (die vom Film kommunizierten primären Kommunikationsmittel wie Wort, Schrift, aber auch die anderen Künste, usw.)
  • die Beziehung zwischen den obigen Faktoren auf der Ebene der Zeichenproduktion (welche filmspezifische Bedeutung entsteht durch die Transformation?)
  • die sekundären Systeme und ihre Beziehung zueinander (ästhetische Codes der Kamerahandlung und der Handlung vor der Kamera, etc.)
  • die Beziehung des Films zu den primären Kommunikationsmitteln (Stoffwahl, Klischees usw.)
  • die gesamten Umfelder des Films (gesellschaftliche, ökonomische, politische usw. Kontexte)

Opls Verdienst liegt nun in erster Linie darin, einen sehr brauchbaren Katalog(21) zur Erfassung der Daten der Kamerahandlung erstellt zu haben. Es zeigt sich aber wieder einmal, dass eine detaillierte Filmanalyse sehr aufwendig ist, weil die Aufzeichnung der einzelnen Parameter, solange sie nicht automatisiert(22) werden kann, viel Zeit in Anspruch nimmt. Diese Arbeit orientiert sich zwar jetzt an Opls und vor allem auch an Siegrists(23) Katalog der möglichen Kamerahandlungen, wenn auch jeweils nur einzelne Parameter gemessen wurden und das wiederum nur für ausgewählte Einstellungen.(24)

Wie die Themenliste zeigt, reduziert Opl die Filmwissenschaft nicht allein auf die Untersuchung der Kamerahandlung. Eine solche Forderung wäre insofern bedenklich, als sie die Filmwissenschaft zu einer Hilfswissenschaft machen würde, die nur Basisdaten zur weiteren Bearbeitung und Interpretation liefert.

Weil Opl den Untersuchungsgegenstand einer Filmwissenschaft am Ende doch wieder so weit fasst, wie es allgemein getan wird, stellt sich auch hier bald wieder die Frage nach der fachlichen Kompetenz des Filmwissenschaftlers. Spätestens beim letzten Punkt, der – zwar „noch sehr unspezifiert“ – die Einbettung des Films in seine „gesamten[!] (pragmatischen) Umfelder“(25) beinhaltet, wird deutlich, dass es Opl nur vorübergehend gelungen ist, die Probleme der Inhaltsanalyse auszulagern.(26) Vor der Frage nach dem „enzyklopädischen Wissen“ gilt es aber, zunächst eine Reihe anderer Ansatzpunkte zu untersuchen, die allein für sich schon sehr ergiebig sind. Dort, wo eine interdisziplinäre Zusammenarbeit sinnvollerweise beginnen kann, steht somit auch eine methodisch einheitliche, dem Untersuchungsgegenstand angemessene Basis zur Verfügung.

Man sollte nicht vergessen, dass die ganze Zeit nur von Filmanalyse die Rede war. Filmwissenschaft beinhaltet aber auch Filmtheorie und Filmgeschichte. Das Gebiet, das sich spezifisch mit dem Film befasst, ist gross genug, um einen eigenen Forschungszweig zu rechtfertigen. Interdisziplinäre Forschungsprogramme sind zwar sicher – wie auch in den anderen Disziplinen – zu begrüssen, wenn aber etwa bei Korte/Faulstich (1988) der Eindruck entsteht, Filmwissenschaft könne nur auf der Basis der Interdisziplinarität betrieben werden, muss dem widersprochen werden. Es ist nicht einzusehen, weshalb hier für einen Forschungszweig nicht gelten sollte, was bei anderen selbstverständlich ist. Freud ist regelmässig Thema in der Literaturwissenschaft, Ökonomen befassen sich mit Ethik, Philosophen dafür mit Umweltschutz, usw. Mit der gleichen Kompetenz kann sich wahrscheinlich der Filmwissenschaftler mit ökonomischen Aspekten der Filmproduktion beschäftigen, die Schichtzugehörigkeit des Filmpublikums feststellen oder die Funktion von Filmmusik untersuchen. Zumindest, und das scheint mir angesichts der heutigen Situation kein geringer Vorteil, wäre Kortes Befürchtung unbegründet, dass „der Gegenstand selber auf der Strecke bleibt.“(27)

Für diese Arbeit gilt deshalb, dass sie sich neben der Inhaltsanalyse im Hinblick auf einen speziellen Hollywoodstil in erster Linie auf filmspezifische Charakteristika – nach Opl die Kamerahandlung – konzentriert. Sie erlaubt sich aber auch, wo es angemessen erscheint, aufgrund der untersuchten kinematographischen Parameter und der Filmerfahrung des Autors auf «fachfremden» Gebieten Schlüsse zu ziehen, in der Annahme, es sei auch dort möglich, sich ein Grundwissen anzueignen, das es erlaubt, – schlimmstenfalls – banale Schlüsse in bezug auf den Film zu ziehen.

3. Peter Pan erobert Hollywood


 

  1. Film beeinflusst umgekehrt auch wieder die anderen Künste. Monaco (1984, S. 30-53) zeigt einige Beispiele für diese Wechselwirkung. So sieht er bei den Kubisten den «Versuch, die vielfältigen Perspektiven des Films auf die Leinwand zu bannen» (S. 36). In der Literatur wurden sprachliche Entsprechungen für filmische Techniken wie etwa der Montage, des Close-Up oder des «stream of consciousness» entwickelt.
  2. Diese Liste ist natürlich bei weitem nicht vollständig und liesse sich auf alle Aspekte erweitern, die Film abbilden oder wiedergeben kann.
  3. Vgl. Opl, S. 29f. Die Liste ist nicht ganz ohne Vorsicht zu geniessen. Zur Filmkritik ist anzumerken, dass sie sich zwar insofern vom literaturwissenschaftlichen Ansatz unterscheidet, als sie alle Filme, nicht nur Literaturverfilmungen, in Betracht zieht. In der Praxis weist sie aber doch eine sehr grosse Ähnlichkeit mit dem literaturwissenschaftlich ausgerichteten Kritikerbetrieb der Feuilletons auf, haben sich doch viele Rezensenten ihr Rüstzeug dort angeeignet. Dass die Literaturwissenschaft nicht unter den fachspezifischen Ansätzen subsumiert wurde, ist wohl dadurch zu erklären, dass sie in Deutschland eine grössere Tradition und Bedeutung besitzt als in anderen Ländern. Zum Schluss ist nicht ganz einsichtig, warum der präsemiotische Ansatz nicht als Vorstufe zur semiotischen Filmtheorie verstanden und dort eingegliedert wird.
  4. Opl, S. 37.
  5. Opl, S. 37.
  6. Es sei nur am Rande darauf hingewiesen, dass es die Philologen waren, die zuerst den Film als universitären Forschungsgegenstand entdeckten. Vielen Ansätzen zur Filmanalyse sieht man deshalb ihre Ursprünge noch an.
  7. Helmut Korte: Systematische Filmanalyse als interdisziplinäres Programm. In: Korte/Faulstich 1988, S. 167.
  8. Helmut Korte: Systematische Filmanalyse als interdisziplinäres Programm. In: Korte/Faulstich 1988, S. 167.
  9. Zit. nach Opl, S. 33.
  10. Vgl. Helmut Korte: Systematische Filmanalyse als interdisziplinäres Programm. S. 166. In: Korte/Faulstich (1988), S. 166-183.
  11. Zit. nach Opl, S. 38. Es ist anzunehmen, dass sich Möllers Äusserung schon wegen der Chronologie genaugenommen auf die oben beschriebene prä-interdisziplinäre Zeit bezieht.
  12. Opl, S. 51.
  13. Opl, S. 51.
  14. Mit dem Gegensatzpaar Kamerahandlung vs. Handlung vor der Kamera wird die Problematik zwar etwas vereinfacht, sie gewinnt aber an Anschaulichkeit
  15. Opl ist sich dieser Tatsache bewusst und spricht davon, dass die Ansätze «nur theoretisch so klar voneinander abgrenzbar sind» (S. 29).
  16. In der Tatsache, dass es heute im Verständnis vieler noch so ist, liegt mit ein Grund für die der Filmwissenschaft unterstellte Beliebigkeit ihrer Untersuchungen
  17. Aus diesem Grund ist dem interdisziplinären Ansatz mit Vorsicht zu begegnen. Die Gefahr, dass die alten, eingeübten Denk- und Untersuchungsschemata einfach auf den anderen Gegenstand übertragen werden, bleibt bestehen.
  18. Opl, S. 42f. Es ist anzumerken, dass wohl weniger die lateinische Wurzel des Wortes «Medium» den Ansatz rechtfertigen kann (basierend auf der Frage «Was vermittelt der Film?» liesse sich mit gleichem Recht das Primat des Inhalts postulieren), als vielmehr seine universelle Gültigkeit.
  19. Unter Kamerahandlung versteht Opl nicht nur die Vorgänge, die mit der Kamera vollzogen werden, sondern auch – technisch gesehen – kameraunabhängige Parameter wie Montage oder Ausleuchtung.
  20. Vgl. Opl, S. 50f.
  21. Opls praktischer Teil weist noch kleinere Mängel auf. So fehlt beispielsweise bei der Kamerabewegung der «roll» (Drehung der Kamera um die eigene Achse im Gegensatz zur horizontalen – «tilt» – und vertikalen – «pan» – Achse), eine zwar selten, aber dennoch verwendete Bewegung. Opl ist sich durchaus bewusst, dass sein Katalog noch nicht zu hundert Prozent vollständig ist und versteht ihn deshalb vor allem als Diskussionsgrundlage.
  22. Im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung ist zu hoffen, dass die Analyse der Kamerahandlung in nicht allzu ferner Zukunft dem Computer überlassen werden kann. Vorderhand wird zwar nur an der computergestützten Auswertung gearbeitet (vgl. die Aufsätze von Giesenfeld/Sanke und Rambott/Sauter in Korte/Faulstich 1988), doch scheint es vor allem eine Frage der Kosten und weniger der Technik, bis der Computer auch Bilder «lesen» kann.
  23. Während es Opl um eine vollständige Auflistung der möglichen Kamerahandlungen geht, liegt Siegrists Hauptinteresse in den filmischen Funktionen (eben der «Textsemantik»), die die verschiedenen Parameter annehmen können. Zusammengenommen bilden die beiden Arbeiten eine unverzichtbare Grundlage zur Filmanalyse.
  24. Die längste von Opl untersuchte Einheit dauert rund 35 Minuten. Im Vergleich: die Gesamtlänge der drei Filme, die in dieser Arbeit untersucht werden, beträgt 360 Minuten.
  25. Opl, S. 50f.
  26. Angesichts der immer wieder postulierten Untrennbarkeit von Form und Inhalt wäre alles andere als kleine Sensation zu bewerten.
  27. Vgl. S. 13.