1. Einleitung oder Von der Nicht-Existenz des Themas

Kino ist ein Kommunikationsmittel,
und ich will Filme für Millionen von Zuschauern machen:

Filme für ein grosses Publikum.
Steven Spielberg (1971)

Seine Filme erreichen ein Millionenpublikum, aber ausserhalb der Kinosäle findet keine Auseinandersetzung mit seinem Werk statt: Steven Spielberg (hier mit E.T., dem «Hauptdarsteller» aus dem gleichnamigen Film, der bis heute unangefochten auf Platz Eins der erfolgreichsten Filme aller Zeiten steht).
Pikawil from Laval, Canada, CC BY-SA 2.0

Betrachtet man die weltweiten Einspielergebnisse, ist Steven Spielberg der erfolgreichste Regisseur aller Zeiten. Logischerweise rangieren Spielbergs Filme auch bei den Zuschauerzahlen in den vordersten Rängen. An den Kinokassen erzielten seine ersten acht Spielfilme Einnahmen in der Höhe von rund 2,8 Milliarden Dollar.(1) Mit E.T. – The Extra-Terrestrial drehte er den finanziell erfolgreichsten Film, der noch neun Jahre nach seiner Uraufführung unangefochten auf Platz Eins der Rekordliste steht.(2) Weitere Filme Spielbergs finden sich auf den vordersten Plätze der Kinobestseller: Jaws, Close Encounters of the Third Kind und Raiders of the Lost Ark.

Gegenläufig zu diesen filmwirtschaftlichen Superlativen kommt eine kulturpolitische Antiklimax hinzu: es ist wohl nur leicht übertrieben, wenn man Steven Spielberg auch als den am wenigsten beachteten Regisseur bezeichnet. Dass Hollywood ihm bislang – trotz mehrerer Nominationen – den vielbegehrten Oscar verwehrt hat(3), mag als ein Hinweis dafür angeführt werden, auch wenn das an dieser Stelle höchstens von anekdotischem Wert ist. Erstaunlicher und gravierender erscheint dagegen, dass eine ernsthafte analytische Auseinandersetzung mit Spielbergs Filmen bis heute nur vereinzelt stattgefunden hat.

Betrachtet man die Filmkritik, so stellt man fest, dass sie Spielbergs Filmen kaum aussergewöhnliche Aufmerksamkeit zukommen lässt. Die eingehendere Untersuchung von Filmen mag zwar nicht unbedingt zu ihren Aufgaben gehören.(4) Dennoch erstaunt es, dass sich die Rezeption des kommerziell erfolgreichsten Regisseurs der Gegenwart beinahe ausschliesslich auf die Dienstleistung der schnellebigen und oft oberflächlichen Filmbesprechung beschränkt.

Noch karger präsentiert sich das Angebot an filmwissenschaftlicher Literatur über Spielberg. Natürlich gibt es Bücher über Hollywoods Wunderkind. Nur selten gehen sie aber über einen rein biographistischen Ansatz hinaus. Crawley etwa enthält neben vielen Kommentaren von und über Spielberg eine Reihe von interessanten Daten und Fakten vor allem produktionstechnischer Natur. Damit bietet er schon viel mehr Informationen als die meisten anderen Publikationen.

Davon abgesehen unterbleibt eine eigentlich analytische Beschäftigung mit den Filmen selbst, ja es wird nicht einmal versucht, Spielberg in einen grösseren filmischen Kontext einzubetten.

Erst in den letzten Jahren sind einige Bücher erschienen, die sich tiefergehend mit dem Regisseur Spielberg auseinandersetzen (zu erwähnen sind vor allem Korte und Faulstich (1987), sowie Goldau und Prinzler). Verglichen mit anderen – nicht nur europäischen – Filmemachern darf man aber Steven Spielberg ohne weiteres als weissen Fleck in der filmwissenschaftlichen Landschaft bezeichnen. Es stellt sich die Frage, weshalb die «terra Spielbergis» noch weitgehend ihrer Entdeckung harrt.

Es scheint, es bestehe in gewissen Fachkreisen eine unausgesprochene Übereinstimmung darüber, dass, was erfolgreich ist, nicht gleichzeitig «gut» sein kann. Oder wie es Korte und Faulstich formulieren:

Was zum Bestseller geworden war, konnte offenbar keine besonderen ästhetischen Werte enthalten – disqualifizierte sich gleichsam selbst. Was die Zustimmung der Massen erfuhr, konnte auch nur Massenware sein.(5)

Nun ist Erfolg sicherlich kein Qualitätsmerkmal. Verwunderlich bleibt aber, weshalb nicht zumindest die Neugier geweckt und ein Versuch unternommen wird, die Ursachen des Erfolgs zu ergründen. Nicht zuletzt sollte doch das Interesse an der gesellschaftlichen Relevanz, die solche Filme besitzen, gerade weil sie ein breites Publikum erreichen, zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik führen.(6)

Man kann sehr wohl geteilter Auffassung über den «ästhetischen» Wert und den Massencharakter von Spielbergs Filmen sein. Meinung ist und soll Teil einer Diskussion sein. Bevor man aber Interpretationen wagt und Werturteile fällt, die je nach Position des Betrachters unterschiedlich ausfallen werden, sollte die grundlegende und objektiv nachvollziehbare Arbeit der Analyse geleistet werden. Das ist bis heute unterblieben. Die Feststellung von Korte und Faulstich, die sie vor vier Jahren gemacht haben, trifft auch heute noch zu:

Von der akademischen Filmwissenschaft schliesslich, der Filmanalyse und der Filmgeschichtsschreibung, werden die Arbeiten Spielbergs nach wie vor vernachlässigt, ja zu weiten Teilen völlig übersehen. So gibt es bislang kaum eine ernsthafte wissenschaftliche Analyse und Interpretation auch nur zu einem seiner Filme, auch nicht in den vereinzelten Monographien, die jüngst in England, Amerika, Spanien und der Bundesrepublik erschienen sind. (7)

Kolker spricht von einer „classical, elitist position“, die eine Auseinandersetzung mit Spielbergs Arbeiten erschwere. Auch er sieht in der Popularität ein Haupthindernis:

Anything so popular is no doubt questionable and fleeting; in a few years the films will disappear into the back shelves of the video store never to be referred to again.(8)

Der Ruch des Trivialen erzeugt offensichtlich Berührungsängste, die sich kaum vollständig durch die Befürchtung erklären lassen, man verschwende seine Zeit an ein Thema, das bald wieder vergessen sein wird. Ob das geschehen wird, darf ohnehin getrost der Geschichte überlassen werden. Wie dies bei anderen Disziplinen der Fall ist, scheint die Filmwissenschaft auch nicht davor gefeit, die Beschäftigung mit zeitgenössischen Themen und Personen tendenziell zu vernachlässigen. Obwohl ein solch historischer Ansatz angesichts der grossen Masse an älteren Filmen, die es aufzuarbeiten gilt, verständlich ist, kann er dem Gegenstand nicht gerecht werden.

Es gibt meines Erachtens keinen triftigen Grund, den populären Spielfilm, wie ihn beispielsweise Spielberg pflegt, als sinnvolles Untersuchungsobjekt der Filmanalyse auszuschliessen. Im Gegenteil: Was von mancher Seite als Vorwurf an diese Filme herangetragen wird, dass sie nämlich bestenfalls formale Spielereien seien, prädestiniert sie unter einem anderen Blickwinkel  geradezu für die Analyse.

Man sollte nicht vergessen, dass die Filmwissenschaft(9)eine relativ junge Disziplin ist. Obwohl sie sich auch heute noch vergleichsweise heterogen(10) präsentiert, hat eine (Rück-)Besinnung darauf stattgefunden, was sie leisten kann und leisten soll. Angesichts der Komplexität des Mediums Film und der historischen Erfahrung damit scheint es vernünftig, wenn das Formale – also filmische und kinematographische Parameter – dabei vorerst in den Vordergrund gestellt wird.

Zurück zu Spielberg: seine Filme wären folglich ein Glücksfall für die Filmanalyse, ginge man denn davon aus, dass ihnen tatsächlich der die Untersuchung nur komplizierende Faktor Inhalt fehlte(11) oder zumindest vernachlässigbar wäre. Aus der puren Form sollte sich das Formale – also wie der Film gemacht ist – ja besonders deutlich herauslesen lassen.

Zuletzt – aber sicher am wichtigsten – sei noch auf die methodische Notwendigkeit der formalen Analyse verwiesen. Die formale Analyse drängt sich schon deshalb auf, weil sie die Basis jeder weitergehenden Untersuchung bildet. Erst durch die Kenntnis des Wie kann über den ästhetischen Wert, die soziale Relevanz etc. eines Films diskutiert werden.(12) Opl formuliert dies sehr deutlich:

Unabdingbare Voraussetzung für jegliche wissenschaftliche Analyse mit „Film“ ist die konkrete Kommunikationsanalyse. Erst danach ist eine fundierte Auseinandersetzung mit seinem  konomischen, soziologischen, rezeptiven, politischen usw. Umfeld möglich. Die „Bedeutung“, der gesellschaftliche, historische und kulturelle Stellenwert eines Filmes ergeben sich natürlich  niemals aus einer singulären Analyse des Kommunikats allein (…). Filmwissenschaft kann niemals ohne Einbeziehung von Kontexten betrieben werden; diese kommen aber – vom methodischen Standpunkt aus gesehen – nach der Kommunikatanalyse.(13)

Bei diesen Ausführung ging es nicht um eine Apologie des Themas. Wer als Untersuchungsgegenstand der Filmwissenschaft die Gesamtheit aller Filme(14) begreift, schliesst den populären Film, der die erdrückende Mehrheit aller Produktionen ausmacht, ganz selbstverständlich darin ein. Es ging vielmehr darum aufzuzeigen, was bislang unterlassen wurde und weshalb – unabhängig von der Art des Films – dies nachzuholen notwendig ist.

Wenn nun im folgenden die Erzählstrukturen in Spielbergs Trilogie über den Archäologen und Abenteurer Indiana Jones untersucht werden, geschieht dies vor dem Hintergrund, dass  Spielberg zusammen mit anderen jungen Regisseuren prägend auf das Hollywoodkino der späten 70er und der 80er Jahre gewirkt hat. Das gewinnorientierte Produktionssystem Hollywoods(15) versucht immer wieder an den Erfolg eines Films anzuknüpfen, indem Fortsetzungen gedreht oder thematisch und stilistisch ähnliche Filme in die Kinos gebracht werden, vom gegenwärtig herrschenden Hang zur Intertextualität ganz zu schweigen.(16) Insofern stehen Spielbergs Filme nicht nur für diesen Regisseur alleine, sondern auch als typische Beispiele für den zeitgenössischen Hollywoodfilm.

2. Filmwissenschaft? Versuch einer methodischen Einbettung


  1. Siehe Schaper, S. 180. Seit 1984 sind natürlich noch weitere Filme dazugekommen, von denen aber – mit Ausnahme von Indiana Jones and the Last Crusade – keiner an die Erfolge der früheren Filme anknüpfen konnte. The Color Purple und Empire of the Sun gelten – für Spielbergsche Verhältnisse – sogar eher als Flops. Nicht zu vergessen ist, dass in diesen Zahlen die Einspielergebnisse der zum Teil sehr erfolgreichen Filme, die Spielberg als Produzent betreute, nicht enthalten sind.
  2. Die Herstellungskosten von E.T. betrugen zwischen 10 und 20 Millionen Dollar (vgl. Crawley, S. 14 und S. 196). Bereits innerhalb der ersten sechs Monate spielte der Film über 300 Millionen Dollar ein.
  3. Obwohl mehrere seiner Filme in verschiedenen Sparten mit Oscars ausgezeichnet wurden, findet sich darunter kein Academy Award für die beste Regie oder den besten Film.
  4. Die (personellen) Grenzen zwischen Filmwissenschaft und Filmkritik sind allerdings fliessend. Viele etablierte Kritiker und Kritikerinnen haben sich auch auf dem Gebiet der Filmanalyse einen Namen gemacht. Durch ihren täglichen Umgang mit dem Medium Film sollten sie für diese Aufgabe ja geradezu prädestiniert sein.
  5. Korte/Faulstich, S. 7.
  6. Beinahe zwangsläufig erinnert die Rezeption des Trivialfilms, wenn man denn diesen ungenauen Terminus aus Analogiegründen verwenden will, an die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung über die Trivialliteratur. Die Geschichte scheint sich einmal mehr zu wiederholen.
  7. Korte/Faulstich, S. 7.
  8. Kolker, S. 237.
  9. Zur Diskussion und Problematik des Begriffs s. Kapitel 2.
  10. Heterogen in dem Sinne, dass das Untersuchungsobjekt Film unter verschiedenen Blickwinkeln und mit sehr unterschiedlichen Interessen angegangen wird.
  11. Natürlich kommt kein Film ohne Inhalt, ohne eine Geschichte aus. Selbst extremste Experimentalfilme wie Andy Warhols Empire (1964), der in einer (!) achtstündigen Einstellung nichts als das Empire State Building zeigt, haben letztlich einen Inhalt.
  12. In Anbetracht der Tatsache, dass wie beschrieben die Zahl der filmwissenschaftlichen Arbeiten über Spielberg relativ bescheiden ist, erstaunt es deshalb zu lesen, sein Kino sei «ein leeres Zeichen, reine Abstraktion» (Fritze/Seesslen/Weil, S. 233). Die Frage drängt sich auf, worauf sich diese Beurteilung abstützt.
  13. Opl, S. 28.
  14. Es sei hier nur am Rande vermerkt, dass die Filmwissenschaft, wie sie heute verstanden wird, ja nicht nur den Spielfilm als Forschungsgebiet kennt, sondern auch den Dokumentarfilm und – auch wenn diese Filme noch kaum beachtet worden sind – den Industriefilm oder die private Videoaufnahme.
  15. Vgl. dazu Pauline Kaels Einführung in Hooked (1990), wo sie die durch eine neue Managergeneration veränderten Produktionsmechanismen Hollywoods aufzeigt.
  16. Das eindrücklichste Beispiel hierfür ist wohl die Star Wars-Trilogie von Spielbergs Freund und Indiana Jones-Produzent George Lucas. Das Sternenmärchen wurde zum Archetyp einer neuen Form des Phantasy-Films und ist in der Zwischenzeit unzählige Male kopiert worden. Hollywood versuchte ebenso an Spielbergs Erfolge anzuknüpfen. Nach Jaws, der selber drei Fortsetzungen erlebte, produzierte Hollywood eine Flut von Tiermonsterfilmen. Auch Indiana Jones fand einige Nachahmer. Zu den interessanteren gehören die beiden Filme von Robert Zemeckis, selber ein Protegé Spielbergs, Romancing the Stone und The Jewel of the Nile.